Zum zweiten mal in diesem Jahr bin ich auf Retreat in Niederbayern.
Entheddere ich mich im Schutz des alten Bauernhauses von meinem Freund, dem Paten, aus den Verwirrungen globaler Information, urbaner Herausforderung und digitaler Geselligkeit.
Wandern, zeichnen, das Landleben üben.
Hinterm Haus plätschert ein Brunnen, die Sonne scheint.
Ruhe.
Und meiner inneren Geschwätzigkeit, die so emissionshaft mit dem regelmäßigen Blubbergeräusch des kleinen Brunnens konkurriert, gebe ich nach drei Jahren Pause, die Möglichkeit, sich in meinem seit 3 Jahren stillgelegten Blog zu amüsieren. Ein paar Texte aus meinem Kopf in die Virtualität auslagern.
Damit ich hier meine Ruhe habe. Und meine Füße ungestört ins Wasser hängen kann.
Die Pest in Bayern
Am Morgen verschlafen in der Bauernhausküche, finde ich mein über Nacht aufgeladenes Handtelefon unter einer Schicht Mehlstaub wieder.
Bemehlt. Wieso? Wer?
...
Ich glaube an das, was ich tue. Das gehört zu meinem Selbstverständnis von Authentizität. Warum dann nicht an das, was ich male. Und wen ich male. Aktuell kritzle ich Getümer. Manchmal auch Ungetümer, wenn die Getümer mit ihrer unschuldig geduckten Kopfbedeckheit mir zu sehr auf die Nerven gehen. Naja, die Ungetümer gehen mir in ihrer unschuldig geduckten Kopfbedecktheit auch auf die Nerven, aber immerhin haben sie ZÄHNE.
...
Im Schrankfach über dem ausgeklappten Board, auf dem mein Handy liegt, steht eine offene Mehltüte. Ich scanne die Umgebung:
Durchaus denkbar, ein Getüm (in dem alten Bauernhaus gibt es mehr als genug von denen) nimmt in der Nacht ein Bad in der offenen Mehltüte, rettet sich mit einem Sprung über mein Telefon auf den Boden. Hüpft beherzt auf das Spültischexperiment des Hausherrn, dem PATEN.
Das Spültischexperiment des Paten: Betonblock mit einer Spülhöhle auf der falschen Seite, auf mehreren Ebenen Holzpaletten in einer rückenunfreundlichen Höhe ruhend. Wasserzufuhr mit einem Schlauch mit Duschkopf.
Dort verweilt das Getüm eine Zeit, stelle ich mir vor, um sich zwischen frischgespültem Geschirr zu erleichtern. Hiernach trödelt es weiter über den alten Küchenherd (holzbeheizt) zum nächsten alten Küchenherd (elektrisch). Station auf dem Mülleimer, noch mehr Mehlspuren hinterlassend. Dann unters Küchenbuffet, wo das Getüm oder vielleicht auch eins der Ungetümer (!), wie ich vermute, wohnt. Auf dem Küchenbuffet, zwischen den Lebensmitteln, findet es mannigfaltig Nischen, in denen man beherzt notdürfteln kann. Weiter an der oberen Kante der Holzverkleidung der restlichen Küchenwand entlang balancieren. Der beschriebene Parcour ist voller Mehlspuren und:
KOT. KOT. KOT.
Sehe ich. Rieche ich.
Staubsauger.
Kot wegsaugen.
Dann wieselt ein Wesen (!) blitzschnell unter das Buffet.
Besenstielgestochere.
Am Folgetag finde ich keine Kotspuren. Ach, denke ich, sehr vernünftig, das Getüm hat mich verlassen. Es wurde ihm wohl ungemütlich. Sehr gut.
Es folgte ein Telefonat mit dem Hausherren, bei dem ich beiläufig meine Getümerbedenken erwähne. Der Pate behauptet, eine Maus treibe ihr Unwesen. Ich finde die zertifizierten Mausfallen am beschriebenen Ort und starre sie nur an.
Eine Maus? Ich bin mir da nicht sicher.
Und: Getümer töten? Niemals.
Ich gehe wandern.
Der Tag darauf auf dem Getümerpfad:
KOT. KOT. KOT.
Staubsauger.
Ich stelle mich den Mausfallen: Wie geht Mausfalle?
Ausprobieren, sie mit Stöckchen zuschnappen lassen. HUCH!
Ogott. Mach ich nicht.
Ich gehe wandern.
KOT. KOT. KOT.
Okay: die harte Medizin. Die Küche wird total geputzt, soweit meine Vorstellung von totalem Putzen das zulässt. Wasser auf dem Herd (elektrisch) heiß machen.
Putzmittel suchen. Putzmittel finden (Orangenduft).
Schrubber suchen. Finden.
Feudel finden.
Putzen.
Lebensmittel in Schüsseln mit Teller abdecken.
Mitten im Saubermachen spüre ich erste Anzeichen von Symptomen ... ja, welche?
GOOGELN: Mauspest, Mausebola, Maushata, Rötelmaus.
Die Symptome passen: Ich hab das.
Und endlich ringe ich mich durch: Mausfalle präparieren.
Mausfalle platzieren.
Eigentlich glaube ich nicht an Mäuse. Ich glaube an Getümer. Im Google steht nichts davon, dass Getümer Krankheiten übertragen.
Im Verlauf des Tages geht es mir zunehmend schlechter. Fieber, Kopfschmerz, Husten, Schnupfen. Ich rufe den Arzt an. Der Arzt ist verständnisvoll. Er hatte gerade selbst den Mausvirus, sagt er.
Bayrischer Wald: Mauspest.
Ich bin fiebrig. Schlafe am Tag auf der Liege unter dem Nussbaum.
In der Nacht erbrochen.
Habe Schüttelfrost.
Durchfall.
Nächster Morgen:
KOT. KOT. KOT.
Wegsaugen.
Koffer packen fürs Krankenhaus. Fahre ,weiter fiebrig, 10 km ins Dorf zum Arzt. Dort in der Schlange anstehen.
Die Sprechstundenhilfe straight. Autoritär. Pokerface. Tüchtig, unerbittlich. Souverän. Gibt Anweisungen. Zwischen den Belangen, die sie mit den Patienten abhandelt sagt sie der einen: "Rita, konnst schu mo ins Wortezimmä". Oder dem Alois: "Gehst ainfoch durch".
Alle kennt sie. Mich nicht, also steh ich als Letzte vor dem Tresen. So ist das hier als Fremde. Normal halt, ich habe nichts anderes erwartet. Ist mir wurscht, ich habe Fieber.
Frau Doktor ist eine Zauberin, mit links hält sie mein Handgelenk, während ihre rechte Hand über einem mit Apullen bestückten Hozköfferchen schwebt. "Nein", sagt sie, "Sie haben den Virus nicht.“ Um immunstärkende Tröpfchen reicher, fahre ich fiebrig wieder ins Bauernhäusl.
In der Küche ein (!) (wieso nur einer?) neuer Kötl.
Wegsaugen.
Dann schleppe ich mich ins Bett und fieberschlafe 5 Stunden.
Mittags wage ich den 2. Anlauf: wärme den Kaffee, den ich morgens stehen ließ, auf.
Irgendetwas ist anders: der neue Kötl wieder neben den mittlerweile abgedeckten Lebensmitteln? Nein, unter der Spüle hat sich die Mausfalle verschoben.
Ich wende mich ab.
Ogott. Ojeh.
Waren sie schlau, die Getümer? Hoffentlich haben sie nur den Käseköder ergaunert und ich kann mich weiter ärgern.
TOT. TOT. TOT.
Da ist die kleine Maus in der fiesen Falle. Tot. O, wie furchtbar. Ich jammere laut, ich entschuldige mich vor dem Herrn, vor der Maus, vor allen Mäusen, vor den Getümern auch und bei denen sowieso.
Entsorge sie. Die Maus. Bete ein Vater Unser. Jammere so vor mich hin.
Dann Kaffee (igitt, aufgewärmt) im Schatten auf der Terrasse. Es ist heiß. Starre in der Schweinsgeruch der Nachbarbauern, das Fieber sitzt mir auch noch im Nacken...
"GRIESGOD."
Hinter meinem Rücken eine Stimme.
Von einem SCHWARZEN MANN.
Schwarzer Mann. Steht hinter mir.
Der schwarze Mann putzt mit diversen Besen zwei Kamine. Genehmigt sich ein Bier, dass ich ihm anbiete.
Und wir plaudern eine Viertel Stunde.
Nicht schlecht das Ende.
Und jetzt Abbitte bei der Maus. Getümerpause.
Love. Pätti.